Um die Treibhausgasemissionen der Baubranche signifikant zu senken, ist die Umstellung auf nachhaltige und kreislaufgerechte Bauweisen notwendig. Auf der Bundesgartenschau in Mannheim realisieren die FibR GmbH aus Kernen zusammen mit Forschenden des Karlsruher Instituts für Technologie zwei innovative Bauten aus den nachwachsenden Rohstoffen Flachs und Weiden und veranschaulichen damit mögliche Baukonzepte der Zukunft.
Nach Schätzung der internationalen Dachorganisation für nachhaltiges Bauen, des World Green Building Councils (WorldGBC), entfallen derzeit fast 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen auf den Bau und Betrieb von Gebäuden.1) 11 Prozent entstammen den sogenannten grauen Emissionen, die bei Gewinnung und Herstellung der Materialien, dem Transport sowie der Montage, aber auch der Entsorgung freigesetzt werden. Wärme- und Stromverbrauch während des Betriebes verursachen aktuell 28 Prozent des CO2-Ausstoßes. Dank erneuerbarer Energien wird dieser Anteil in den nächsten Jahrzehnten sinken, so dass bei gleichbleibender Bauweise die grauen Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts mehr als die Hälfte des CO2-Fußabdrucks eines Neubaus ausmachen könnten. EU-weit ist der Bausektor zudem der größte Verbraucher von Primärrohstoffen wie beispielsweise Sand, Kalkstein oder Eisen und produziert aufgrund schlechter Recyclingquoten fast ein Drittel des Abfallaufkommens.2)
Vor diesem Hintergrund soll mit der 2021 neu geschaffenen Professur für Digital Design and Fabrication (DDF) am Institut Entwerfen und Bautechnik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) die Entwicklung neuartiger Konzepte im Bauwesen vorangetrieben werden. „Wir wollen mithilfe computerbasierter Entwurfsmethoden und digitaler Fertigungsverfahren eine kreislaufgerechtere und nachhaltigere Bauweise ermöglichen“, erläutert Tenure-Track Professor Moritz Dörstelmann. „Der Grundansatz ist immer die Vermeidung der Extraktion von Primärressourcen.“ Deshalb konzentriert sich der Architekt in seiner Forschung auf die Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe wie Flachs oder Weiden.3) Im Gegensatz zu Holz, das mit Wachstumszyklen von 15 bis 30 Jahren oft nicht gut mit der Nachfrage zu vereinbaren ist, können diese Pflanzen jährlich geerntet werden.
Dörstelmann blickt in diesem Bereich auf langjährige Erfahrung an verschiedenen Forschungseinrichtungen zurück und war unter anderem an der Entwicklung einer robotischen Faserwickeltechnologie beteiligt, mit deren Hilfe Leichtbaustrukturen auch aus Flachs hergestellt werden können.4)
Hierbei werden die kurzen Flachsfasern zunächst zu einem Vorgarn, dem sogenannten Roving, zusammengefügt. Nach Durchlaufen eines Bades aus Bioharz wird dieser mithilfe eines Wickelroboters auf einem formgebenden Rahmen so abgelegt, wie es für eine optimale Lastabtragung nötig ist. Nach dem Trocknen besitzen die filigranen Bauelemente dann eine hohe Tragfähigkeit.
Um das Verfahren in industriellem Maßstab einsetzen zu können, gründete der Wissenschaftler 2017 zusammen mit einem Partner die FibR GmbH. Auf Basis von Flachsfasern errichtete das in Kernen im Remstal ansässige Unternehmen bislang den livMatS Pavillon im Botanischen Garten in Freiburg (2021) und die Smart Circular Bridge auf der Internationalen Gartenbauausstellung Floriade in Almere (2022).
Seit März 2022 erhält die FibR GmbH zusammen mit fünf Professuren des KITs eine Förderung im Rahmen der Landesstrategie Nachhaltige Bioökonomie Baden-Württemberg vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg. Das Projekt ReGrow soll den schnell nachwachsenden, regionalen Rohstoffen Flachs und Weiden neue Einsatzmöglichkeiten eröffnen. Erste Ergebnisse werden von April bis Oktober 2023 auf der Bundesgartenschau (BUGA) in Mannheim präsentiert: die FibR GmbH konstruiert einen Pavillon aus Flachs, die Professuren am KIT entwickeln den Demonstrationsbau aus Weiden.
„Die Nutzung von Weiden als Baumaterial ist ein zukunftsfähiges Forschungsthema und wird auf der BUGA in großem Maßstab gezeigt“, führt Dörstelmann aus. „Um aus flexiblen, dünnen Ruten ein stabiles, tragendes Bauteil zu fertigen, setzen wir auf eine ähnliche Strategie wie die Natur das bei Holz macht.“ Holz ist ein natürlicher Verbundwerkstoff, ein sogenanntes Komposit, bestehend aus dem festen Biopolymer Lignin und Cellulosefasern. „Wir kombinieren die Weiden mit Lehm und interpretieren diesen historischen Baustoff mithilfe digitaler Entwurfs- und Fertigungstechnologien neu.“ Nach genauer Analyse, wie die gerichteten Eigenschaften entlang der Faser im Verbund mit anderen Materialien eingesetzt werden können, entstehen so skalierbare Bauelemente.
Die für ReGrow genutzten Weiden wachsen in der Nähe von Karlsruhe auf Überflutungsflächen am Rhein. Das heißt, sie stehen nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln oder der Forstwirtschaft. Der Architekt erklärt: „Solche Flächen sind ein Beitrag zur Biodiversität, da dort nur einmal jährlich geerntet wird und sie ansonsten als Lebensraum zur Verfügung stehen.“ Im Gegensatz zu Bauholz, das vor der Verarbeitung energieintensiv in Öfen getrocknet wird, lagern die geschnittenen Weidentriebe zunächst umweltverträglich einige Monate an der Luft. Dabei schrumpfen sie um etwa 40 Prozent im Querschnitt. Anschließend werden die 2 bis 2,5 m langen Ruten wieder gewässert und in einer speziell hierfür am KIT entwickelten Maschine zu einem Endlosstrang aus überlappenden Weidenelementen zusammengespleißt; ähnlich, wie es in der textilen Fertigung der Fall ist. „Die Relevanz digitaler Fertigungstechnologien beim Einsatz nachwachsender Rohstoffe liegt unter anderem auch darin, dass man unregelmäßige Materialien verwenden kann. Wir verarbeiten die Weiden direkt so, wie sie vom Feld kommen.“
Im nachgeschalteten Schritt wird der Weidenstrang von einem Roboter zu einer korbähnlichen Konstruktion geflochten, die als Schalung dient. Durch Ausfüllen der Zwischenräume mit Lehm kann dann eine Stabilität vergleichbar mit Holzelementen erreicht werden. In den Weiden-Lehm-Kompositen nehmen die Weiden dabei die Zugkräfte auf und der Lehm den Druck. „Ein großer Teil der Untersuchungen im Rahmen von ReGrow besteht darin, die Tragfähigkeit zu testen“, betont Dörstelmann. Dies erfolgt ganzheitlich und interdisziplinär in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Riccardo La Magna von der Professur Design of Structures und unter Beteiligung von Expertinnen und Experten aus Architektur, Bauingenieur- und Materialwesen sowie Elektro- und Produktionstechnik. Aufgrund der großzügigen Ausstattung mit einer 500 m2 großen Halle ist dabei ein schneller Übergang von kleinen Prototypen zu großmaßstäblichen Modellen möglich.
Die unter geringem Energieaufwand aus nachwachsenden Rohstoffen geschaffenen Bauteile haben noch weitere Vorteile: sie sind modular und wiederverwendbar. Aufgrund einer reversiblen Fügetechnik können sie nach dem Zusammenbau wieder voneinander gelöst, gut transportiert und an anderer Stelle eingesetzt werden, sodass eine voll kreislauffähige Bauweise entsteht. Zudem lässt sich der Lehm auswaschen und - ohne seine Eigenschaften zu verlieren - erneut verwenden.
Der in Mannheim realisierte Weiden-Lehm-Komposit-Bau wird im Verlauf der BUGA wachsen und mit jeder Erweiterung neue thematische Aspekte integrieren, wie beispielsweise die lokale Energiegewinnung. Der Architekt erläutert: „Wenn man neue Bautechnologien entwickelt, ist es wichtig, dass man von Beginn an die Schnittstellen zu anderen Baumaterialien und Bauteilen mitdenkt. In diesem Fall haben wir in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Tenure-Track Prof. Dr. Ulrich Paetzold vom Lichttechnischen Institut am KIT bei der Planung und Fertigung der Weidenstrukturen die Schnittstellen zu Photovoltaikanlagen sowie die benötigte Lastaufnahme berücksichtigt.“ Ein weiteres Thema beschäftigt sich mit dem Mikroklima im Außenbereich der Forschungsbauten. Mithilfe von Bepflanzung und Befeuchtung wird zwischen zwei parallel stehenden Wänden ein kühler, grüner Canyon entstehen. Hierfür wurden von der Professur Bauphysik & Technischer Ausbau unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Wagner Simulationsmethoden, die es für Innenräume bereits gibt, auf den Außenbereich übertragen und bauliche Voraussetzungen für die Umsetzung sowie eine geeignete Sensorik entwickelt.
Aus bioökonomischer Sicht ergänzen die Leichtbaustrukturen aus Flachs und die massiveren Bauteile aus Weiden-Lehm-Kompositen den klassischen Holzbau gut. Nach dem Aufbau lokaler Wertschöpfungsketten könnten die innovativen robotergestützten Fertigungsverfahren in Zukunft nicht nur die sinnvollere, sondern auch günstigere Bauweise darstellen.
Literatur:
1) World Green Building Council: Bringing Embodied Carbon Upfront report (2019). https://worldgbc.org/advancing-net-zero/embodied-carbon/
2) SeRaMCo: Secondary Raw Materials for Concrete Precast Products. https://www.nweurope.eu/projects/project-search/seramco-secondary-raw-materials-for-concrete-precast-products/
3) KIT | Professur DDF: Projekt InterTwig. https://ddf.ieb.kit.edu/intertwig.php
4) BIOPRO-Fachbeitrag: "Robotisches Bauen mit Naturfasern". https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/robotisches-bauen-mit-naturfasern